Caritas-Einsatzleiterin Sabine Wartha in Haiti im Interview - 20.01.10

Frau Wartha, stimmen die Eindrücke, die uns die Fernsehkameras aus Port-au-Prince ins Wohnzimmer liefern?
Sabine Wartha: Es ist viel schlimmer. Ich habe den Krieg im Kosovo und das Erdbeben in Pakistan erlebt. Aber die Zerstörung, die ich in der haitianischen Hauptstadt gesehen habe, übertrifft alles - jetzt rächt sich, dass die politische Struktur und die wirtschaftliche Situation in Haiti schon vor dem Erdbeben eine Katastrophe waren.

Welche Bilder haben Sie gespeichert?
Vor allem die Parallelität zweier Welten. In der Dominikanischen Republik die kitschigen Karibikstrände mit ihren malerischen Landschaften, das Lieblingsurlaubsziel vieler Touristen. In Haiti eine verwüstete Hauptstadt, aus der ein Exodus führt: Menschen tragen Matratzen, Stühle, Reste ihrer Häuser fort aus Port-au-Prince. Wer noch gehen kann, flieht. Es ist eine "mass migration", wie die Leute hier sagen, weg aufs Land, nach Nirgendwo.

Wie muss man sich die Erdbebenschäden vorstellen?
Im Fernsehen werden nur Trümmerbilder gezeigt. In Wahrheit ist Port-au-Prince, das wir auf dem Landweg erreicht haben, aber eine zweigeteilte Stadt. In ein und derselben Straße kann links alles noch intakt sein und rechts alles in Trümmern liegen. Hier das Leben, dort der Tod.

Denken Sie an die mehr als 100.000 Toten, die noch immer unter diesen Trümmern begraben sind?
Nein... Wir sind so beschäftigt mit der Hilfe für die Überlebenden, dass wir nicht an die Toten denken. Diese Gefühle werden erst viel später kommen. Erinnert werden wir nur durch die Atemschutzmasken, die die Leute hier wegen des Leichengeruchs tragen.

Was ist bei Ihrem Einsatz die größte Herausforderung?
Wir sind hier in Zelten der Caritas International, gemeinsam mit Rescue Teams aus Mexiko und Feuerwehrleuten aus der ganzen Welt, untergebracht... Es kommen immer mehr Lieferungen mit Hilfsgütern - vor allem Wasser und Hygieneartikel - an, sowohl auf dem Land- als auch auf dem Luftweg. Die Caritas war schon vor dem Beben in Haiti präsent, das macht sich jetzt bei der Logistik bezahlt.

Arbeiten die Hilfsorganisationen - Rotes Kreuz, Nachbar in Not, Ärzte ohne Grenzen, World Vision usw. - zusammen oder kocht da jeder sein eigenes Süppchen?
Wir sind alle gut koordiniert durch die Vereinten Nationen. Die UN rufen täglich zu gemeinsamen Abstimmungsterminen auf. Alle ziehen hier an einem Strang, egal für wen die Menschen spenden.

Haben Sie auch Plünderungen gesehen?
Man hört wohl immer wieder Schießereien, aber vorherrschend sind für uns die freudigen Gesichter der Menschen, wenn sie uns erblicken. Sie rufen "Thank you!" und "Merci!" und zeigen uns ihre große Dankbarkeit. Währenddessen halten sie Banner in den Händen, auf denen "We need help! We need food and water!"

Wie lange wird es dauern, bis die Hilfsgüter wirklich bei den Leuten ankommen? Tatsächlich haben wir bei der Fahrt nach Port-au-Prince viele Staus gesehen, die Lkws bleiben oft stecken, der Flughafen ist überlastet. Solange es noch Ausschreitungen gibt, hat eine Verteilung wenig Sinn. Deshalb hoffe ich, dass hier sehr bald amerikanische Soldaten patrouillieren, denn noch vor Wasser brauchen die Menschen hier vor allem eins: Sicherheit.

Wird man denn noch Überlebende finden?
Sieben Tage nach dem Beben wird das immer unwahrscheinlicher - ein Mensch kann drei Tage ohne Wasser auskommen. Am Dienstag wurde noch ein Kind lebend aus einem eingestürzten Haus geborgen. Das sind ungeheur emotionale Momente.

Frau Wartha, mit welchem Gefühl werden Sie heute einschlafen?
Total erschöpft, aber voller Hoffnung. Die Aufbauarbeiten für diesem Land werden sicher zwei Jahre dauern.

Fragt man sich da, wo Gott ist?
Ja. Aber Gott hat Haiti nicht verlassen. Denn wo Menschen helfen, ist auch Gott.

Die Caritas Österreich hilft gemeinsam mit den anderen Hilfsorganisationen unter dem Dach von Nachbar in Not und bittet dringend um Spenden für die Opfer des Erdbebens in Haiti:

Caritas-Spendenkontonummern:
RLB 1.000.652, BLZ.33000
oder
PSK 7.700 004, BLZ 60.000,
Empfänger: Caritas für Menschen in Not
Kennwort: Erdbeben Haiti

Nachbar in Not: PSK 90 150 300, BLZ 60.000, Kennwort: Erdbeben Haiti