Eine Reise nach Wetschehaus

Eine Studentin aus Kosice/Slowakei besuchte Mitte März die Caritas Sozialstation in Wetschehaus. Ihre Eindrücke hat sie in einem Bericht niedergeschrieben. Wie sehr sie vom Schicksal unserer Kinder in Wetschehaus berührt wurde, lesen Sie hier.

 Es ist nicht lange her, dass mir angeboten wurde, ein Wochenende mit Kindern in einem der rumänischen  Waisenhäuser zu verbringen...
Ich bin durch das Land als Kleinkind vor mehr als 25 Jahren gefahren (unterwegs zum bulgarischen Meer). Damals war das Land trostlos arm...
Und was sah ich jetzt?
Armut. Beklagenswerte Armut. Materielle und seelische Armut. Der oberen Schicht geht es unheimlich gut – die leiden an keiner Not (zumindest nicht materiell), es gibt fast keine Mittelschicht, dafür gibt es eine unzählige Arme. Außer Armut herrscht die Korruption.

Das Waisenhaus, das ich am Wochenende besucht habe, befindet sich am Ende der Welt – ca. 1,5 Stunde von Timisoara entfernt. Im Dorf fehlt sogar eine ordentlich gebaute Hauptstraße. Im Waisenhaus von Wetschehaus, das bereits seit 15 Jahren existiert, haben 25 Kinder ein Zuhause gefunden. Die Kinder wurden teilweise im Spital gleich nach der Geburt „vergessen“, oder ihre Eltern konnten sich das Neugeborene nicht leisten, entweder weil sie bereits eine groß gewordene Familie waren, oder das Kind war behindert (und als solches benötigt es eine permanente Fürsorge). Zur Zeit sind die jüngsten Bewohner des Hauses mittlerweile fast 5 Jahre alt. Ältere mit bis zu 18 Jahren, wohnen weiterhin im Waisenhaus, bis sie entweder studieren und in eine Wohngemeinschaft ziehen oder einen Beruf ergreifen und selbständig leben können. Die älteren Kinder, die Jugendlichen, wohnen in einem separaten Haus, im Haus Elisabeth. Alle Kinder treffen sich täglich beim Essen - alle essen zusammen im Haus der Kleinsten. Das Familienhaus ist so bequem wie möglich eingerichtet, so dass sich jedes Kind wohl fühlt. Im Garten haben die Kinder einen Spielplatz. Im Sommer können sie gerne was pflanzen… auf dem Hof haben sie einen „Mitbewohner“ – den Hund, und manchmal gibt es sogar Katzen. Und da sie auf dem Lande leben, geht es nicht ohne Hühner, bzw. Enten oder Schweine…
Ich vermute, ihr würdet mir jetzt gerne eine Frage stellen – wie habe ich mich mit den Kindern verständigen können? Die Frage ist gerechtfertigt…. Trotz meiner Sprachbegabtheit war ich nicht in der Lage, die Sprache zu verstehen… Die Kinder – keine Ahnung wie sie es tun – haben es aber herausgefunden, sie haben mir die Sachen so lange versucht zu erklären, bis ich´s irgendwie (einigermassen) mitbekam…
Aber der Reihe nach…
Freitag abend, als wir unser Ziel erreichten, waren die Kinder bereits für ihre tägliche Pyjama-Party vorbereitet. Da für Samstag ein Ausflug vorgesehen war und keiner wusste, welche Gruppe die „auserwählte“ ist, mussten, bzw. wollten alle Kraft holen.
Samstag war der Tag, wo diesmal die Kleinsten (die im Kindergartenalter) in die weite Welt reisen durften. Unser Minibus war voll von bildhübschen, aber um so wilderen, und vor allem rumänisch hervorragend sprechenden Kindern. Es war einfach unmöglich, sie anzuschnallen. Sie konnten nicht einmal zwei Minuten sitzen bleiben, krochen herum über alle Sitze, haben teilweise alles mögliche was nur ging, demontiert. Die Reise war ein Erlebnis, nicht nur für die sieben kleinen Zwerge, sondern auch für uns, die zwei „Reiseleiter“. Die Fahrt von Wetschehaus nach Timisoara dauerte über 1,5 Stunden. In der Zeit haben wir dreimal Stop machen müssen. Aus einem einfachen Grund – auf rumänisch heißt es „pischi".
Mir wurde gleich nach dem Start klar, dass der Tag mit diesen sieben kleinen tapferen Frohsäcken sehr interessant und hoch spannend wird … eine große Herausforderung für mich… mit einem einzigen Problemchen - der Sprachbarriere…
In Timisoara kam die Hilfe – der Caritas-Direktor dort ist ein gebürtiger Deutscher. Er hat unseren kleinen Reisenden meine Worte gedolmetscht. Die Kinder haben ihm mit offenem Mund und großen Augen zugehört  Ich bekam nämlich eine tolle Idee, die Kleinen zu beschäftigen… eine sehr wichtige Rolle wurde ihnen zugeteilt – sie wurden zu meinen Reiseführern in Timisoara, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben zu Besuch war (übrigens die Kinder auch), und dazu bekamen sie gleich noch zwei weitere Aufgaben – mich rumänisch zu lehren, und sich möglicherweise während der Stadtrundfahrt nicht zu verlaufen….
Auf dem Hauptplatz war das größte Ereignis für die Kinder ein Haufen von Tauben… die Freude und die strahlenden Augen, als sie den Vögeln hinterher liefen, das muss man erleben  Aber die Sensation kam erst jetzt dran– in der Form des Stadtverkehrs, eine Fahrt mit der Straßenbahn und anschließend mit dem Bus. Für mich selbst war es etwas, was ich nie vergesse – da ich mit den sieben Kleinen und mit einer netten jungen Rumänin aus einem Waisenhaus in Timisoara, die mittlerweile deutsch und englisch konnte, durch die Stadt fuhr. Sie hat mir mit den Kindern die ganze Zeit geholfen. Die kleine Gruppe war außer sich, wortlos und staunend…. Ich war dankbar, dass die Menschen während des Ein- und Aussteigens hilfsbereit waren.
Nachdem wir die „motorisierte“ Stadtrundfahrt absolviert haben, sind wir zu einem Waisenhaus gelangt, das von drei Benediktinerinnen geführt wird. In dem sehr gemütlich eingerichteten Familienhaus mit Garten wohnen mit den Schwestern zwölf Jugendliche. Die meisten von ihnen haben ihre Kindheit in Wetschehaus gelebt – genau dort, wo die sieben kleinen Kinder zur Zeit leben. Für mich persönlich war diese Einladung zum Mittagessen und die kurze Zeit, die ich mit denen verbringen durfte, die nicht von den Eltern gewollt waren, und doch trotz allen „Lebensohrfeigen“ frohe junge Leute waren, ein bereichendes Erlebnis! Es war super spannend zu beobachten, wie liebevoll die ganz Kleinen von den Größeren angenommen werden. Die kleinen Besucher bekamen verschiedene Spielzeuge geschenkt, Aufmerksamkeit, Liebe, Freundschaft, Menschenwärme. Und ich durfte wieder die reizend glänzenden Augen bewundern! Nach dem leckeren Mittagessen besuchten die Kinder das geheimnisvolle Zimmer  des Hauses – die Kapelle. Hier hat eine der Schwestern den Kindern einiges erklärt, und dann haben alle gebetet. Auf rumänisch, natürlich. Danach war die Zeit reif für das Weiterfahren - unser Ziel war eine Farm in der Nähe von Timisoara.
Der Aufenthalt auf der Farm war wieder etwas Reizendes… Es ist bemerkenswert, wie offen und hemmungslos die Kinder sind, da sie z. B. den Storch (Statue im Gras) überhaupt nicht fürchteten, da einer der zwei Jungen ihn in einem Augenblick rasch demontierte. Zwischendurch liefen sie auch einem der mehreren Hunde nach… aber dann kam ein Schreck…. Als die Kinder im stinkenden Stall riesige Kühe und Kälber, dicke Schweine sahen, blieben sie wieder wortlos – aber ruhig, zurückgehalten, fast ohne Atem…. In der Zwischenzeit fing es an zu regnen. Die Kinder bekamen eine tolle Idee – die Autos auf dem Parkplatz abzuwischen – zu dieser offensichtlich nicht ungewöhnlichen Tätigkeit haben sich automatisch und gerne auch die Mädls angeschlossen… - meist in ihren hellfarbigen Jacken…. Anschließend wollten alle in das Fass voll von frisch gemahltem Mehl hüpfen….
Diese Farm ist eigentlich eine Sozialstation, eine Integrationsstelle, wo Obdachlose leben und arbeiten. Sie kümmern sich um die Tiere, arbeiten in der Landwirtschaft, wohnen in den Häusern, die sie selbst gebaut haben – mit der Hilfe von Sponsoren aus dem Ausland, da in Rumänien kaum ein Sozialstaat existiert.
Die Farm war unsere letzte Haltestelle. Auf der Rückfahrt habe ich naiv gedacht, dass die Kinder einschlafen werden,.Sie müssten doch nach all den Erlebnissen fix und fertig sein… Überhaupt nicht! Keine Ahnung, woher sie die Kraft geholt haben, aber sie waren voller Energie. Als wir endlich nach Wetschehaus zurückkamen, wollte ich mit den Kindern ein Dankeschön für das Geschenk des gemeinsam verbrachten Tages sagen… Leider, meine Initiative lief schief, da ich kein rumänisch spreche, und es war einfach der einigermassen deutsch sprechenden Erzieherin nicht möglich zu erklären, was ich eigentlich erreichen will… Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, dass die Kinder es verstehen, dass wir einiges nicht automatisch bekommen…..
Es ist eine wohl bekannte Tatsache, dass die Kinder im Allgemeinen viel-viel Liebe brauchen. Die von Wetschehaus oder von egal welchem Waisenhaus brauchen noch mehr Liebe, sie werden die Liebe nie satt... Für mich war es ab-und-zu nicht leicht, dem netten Ansturm der Kinderschar zu widerstehen  Sie hingen an mir und wollten mich nicht loslassen  Die Kinder hatten gar keine Hemmungen, und die Sprachbarriere war für sie überhaupt kein Hindernis!
Nach dem Abendessen spielten wir noch eine Weile – für mich war es die nächste Runde meines Rumänischkurses. Die Gute-Nacht-Geschichten waren auf Etappen aufgeteilt. Während ich den ganz Kleinen eine kurze Geschichte auf ungarisch erzählte (bei den Größeren ging es auf deutsch, bzw. englisch), die Größeren widmeten sich den Hausarbeiten wie Bügeln, Aufräumen, oder sogar der wöchentlichen Hygiene. In allen Zimmern habe ich mit Kindern vor dem Schlafengehen neben den kleinen Betten gekniet und dem Vaterunser auf rumänisch zugehört – weiterhin schaffe ich nur das international gut bekannte „Amen“…
Sonntag hatte ich noch die Möglichkeit, ein Waisenhaus mit schwer behinderten Kindern zu besuchen. Der Staat unterstützt die Fürsorge solcher Kinder nur teilweise, eigentlich sehr gering… es ist bemitleidenswert.

So, nach diesem erlebnisvollen Wochenende fühle ich mich trotz meiner nicht allzu günstigen Lebenslage wie eine Prinzessin…
Das Leben ist wunderbar - man muss nur die Augen aufmachen, um die Wunder zu merken.