3 Monate nach dem Erdbeben: es geht wieder aufwärts

Frau Simma, es sind jetzt drei Monate seit dem Erdbeben in Haiti vergangen. Wie geht es den Menschen jetzt und wie ist die Situation vor Ort?
 
Man sieht jetzt überall auf den Straßen die Aufräumarbeiten. Die Haitianerinnen und Haitianer tun, was sie können, um dieses Land "auf Vordermann" zu bringen.  An allen Ecken und Enden wird der Schutt weggeräumt. Wo es geht, wird mit kleineren Aufbauarbeiten begonnen. Es kehrt das Leben in Haiti wieder ein. Auch, wenn von einem echten Wiederaufbau natürlich noch keine Rede sein kann.

Wie läuft die Hilfe, was ist bisher erreicht worden?
 
Es kommen immer mehr Hilfsgüter ins Land. Der Hafen in Port-au-Prince ist wieder funktionsfähig, das erleichtert den effektiven Einsatz von Hilfsgütern enorm.
Im internationalen Caritas-Netzwerk unterstützen wir, auch mit Spenden aus Österreich, hunderttausende Menschen mit Essen, Kleidung, Hausrat oder auch Notunterkünften.
 
Ist die Hilfe schon überall angekommen?
 
Nein, das wird leider noch dauern. Das Ausmaß der Katastrophe ist so unfassbar groß, dass es sehr schwer ist, sofort überall mit der konkreten Hilfe anzukommen. In manchen Bergregionen, die aufgrund des schlechten Straßennetzes nur schwer bis gar nicht erreichbar sind, kommt die Hilfe nur langsam an. Aber sie kommt an. Wir Hilfsorganisationen versuchen so gut es geht zu verhindern, dass betroffene Familien vergessen werden.
 
Wie schaut die Zusammenarbeit mit den anderen Organisationen aus?

 
Da die Infrastruktur, die Verwaltung, der ganze Privatsektor, etc. alles zerstört oder zumindest schwer beeinträchtigt ist (ganz zu schweigen von den enormen Opferzahlen und der menschlichen Tragödie) ist ein schnelles, effizientes und koordiniertes Handeln ein sehr hoch gestecktes Ziel. Leider verlangsamt das Fehlen funktionierender staatlicher Strukturen manche Hilfsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund leistet die UN in der Koordination der Hilfe gute Arbeit, wenn es darum geht, die Hilfsorganisationen zu koordinieren, zu informieren und bei der Arbeit im Feld zu unterstützen - nicht zu vergessen, den Schutz, den die UN hier den NGOs durch ihre Präsenz bietet.
 
Sie unterstützen derzeit das internationale Caritas-Team bei der Koordination der Hilfe. Was machen Sie konkret?
 
In der Vergangenheit bestand meine Hauptaufgabe darin, dafür zu sorgen, dass die fünftausend regenfesten Caritas-Zelte ins Land kommen und so schnell als möglich verteilt werden. Nun ist die Caritas Österreich vor allem an zwei Standorten tätig. In Cite Soleil, einem riesigen Slum in der Haupststadt Port-au-Prince, und in Gressier - eines der am stärksten betroffenen Gebiete. In Cite Soleil arbeiten wir gemeinsam mit den Salesianern am Wiederaufbau der zerstörten Schulen mit. Die Salesianer sind seit über 20 Jahren in Cite Soleil tätig. Leider wurden durch das Erdbeben alle vier Schulen vollkommen zerstört. In einem ersten Schritt konnten wir nun für diese Kinder einen provisorischen Unterricht starten, und ihnen so wieder etwas Struktur und Alltag zurückgeben.
 
Und was sind die nächsten Schritte in der Caritas-Hilfe?
 
Wir befinden uns noch immer in der Phase der Nothilfe. Die Caritas Österreich wird nun vor allem weitere Hilfsgüter an betroffene Familien in Gressier / Morne au Bateau verteilen. In den kommenden Wochen werden das vor allem weiterhin Notunterkünfte aber auch Mosquitonetze sein, die besonders wichtig als Schutz gegen die befürchteten Krankheiten Malaria und Denguefieber sind. Weiters verteilen wir Werkzeug, Hygieneartikel, Matratzen, Küchenutensilien und so weiter. Um sicherzustellen, dass vorrangig jene Menschen die Hilfe erhalten, die sie am dringensten brauchen, arbeiten wir eng mit der Pfarre in Gressier zusammen.
 
Was gibt Ihnen Kraft in Ihrem anstrengenden Alltag?

 
Kraft schöpft man hier aus der Arbeit und Tätigkeit selbst, so anstrengend und fordernd sie auch sein mag, denn man bekommt die Energie, die man hier investiert,  doppelt und dreifach von den Menschen in Haiti zurück. Die Tätigkeit hier öffnet nicht nur die Augen, sondern eben auch das Herz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, neu gefundene Freunde, eine starke Familie und einen tollen Freundeskreis daheim - das gibt zusätzlich Kraft und macht Mut.
 
Was war Ihr berührendstes Erlebnis bisher?
 
Das ist schwer zu sagen, weil hier täglich etwas passiert, dass einen tief im Inneren rührt. Daher schreibe ich auch Tagebuch, dass ich all diese Momente sammeln kann und sie nicht im täglichen Stress vergesse. Eines der schönsten Dinge war mit Sicherheit die Rettung einen kleinen Buben, der in einen fahrenden Bus eingeklemmt war und mitgezerrt wurde. Der kleine Kerl hat überlebt. Weil wir zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort waren.
 
Gibt es etwas, was Sie den Menschen in Österreich sagen wollen?
 
Ein großes Danke an alle, die unsere Arbeit hier möglich machen. Ich kann kaum beschreiben, wie schlimm die Lage in Haiti ist, und wie viele Menschen betroffen sind. Jeder hier hat Familie verloren, kein Dach mehr über dem Kopf, musste fliehen, lebt unter Plastikplanen oder in Zelten, kann nicht mehr zur Arbeit gehen oder ist stark verletzt. Dieses Land wird noch eine ganze Weile auf die Hilfe von außen angewiesen sein. Aber wir sind guter Hoffnung - Es geht wieder aufwärts.
 
* Die Bregenzerin Ilse Simma (Jahrgang 1980) war  über ein Jahr für die Caritas Österreich als Leiterin für Sonderprojekte und Sozialexpertin tätig. Bis zum Juni verstärkt die studierte Juristin das internationale Caritas-Team in Haiti im Bereich der Logistik.