In Haiti hat das Erdbeben vom 12. Jänner mit der Stärke 7,0 verheerende Schäden angerichtet. Tausende Häuser sind zusammengestürzt, sehen aus, als hätte man mit der flachen Hand auf einen Kuchen geschlagen und haben hunderttausende Menschen unter sich begraben. Von der Kathedrale stehen nur noch ein paar Reste, der Präsidentenpalast ist eingestürzt, Ministerien existieren nicht mehr.
Holz hielt dem Beben stand
In Chile war das Erdbeben anderthalb Monate später, am 27. Februar, noch stärker: Die Magnitude betrug 8,8 auf der Richter Skala. Trotzdem hat die Zerstörung durch das Erdbeben nicht die gleiche Dimension erreicht, wie in Haiti. "Das Erdbeben hat hier überhaupt keinen Schaden angerichtet", erzählte mir ein Mann in der Stadt Dichato. Viele Häuser waren hier aus Holz, das ein starkes Beben übersteht.
Überall, wo mit Adobe gebaut wurde, dem getrockneten Schlamm, mit dem Südamerika traditionell viele Häuser gebaut wurden, waren die Schäden dramatisch. In Talca, 300.000 EinwohnerInnen, wo ich zwei Tage verbracht habe, sind große Teile des Stadtzentrums zerstört. Der Anblick erinnert mich an Haiti; kollabierte Häuser, umgeworfene Mauern, große Mengen Schutt in den Straßen. Talca liegt im Landesinneren und ist wohl eine der vom Erdbeben am stärksten betroffenen Städte.
Tsunamis waren schlimmer als Beben
Doch der wahre Schaden in Chile entstand durch die Tsunamis, die dem Erdbeben folgten. Bis zu fünf Wellen sind über die Küstenstädte hereingebrochen, haben alles mit sich gerissen. In Dichato, wo ich mit dem Mann spreche, steht kein Haus mehr, riesige Mengen Schlamm liegen heute auf den Straßen und Gebäude wurden mehrere Hundert Meter weit landeinwärts geschleudert. Durch den Tsunami entstand hier der wahre Schaden, entlang tausend Kilometer Küstenlinie. Die Zerstörung in Chile (1,5 Millionen haben hier ihr Haus verloren) übertrifft jene in Haiti (1,2 Millionen Obdachlose).
Auf der anderen Seite steht das menschliche Leid
In Haiti liegt die Zahl der bestätigten Todesopfer bei über 220.000 (Schätzungen liegen sogar zwischen 300.000 und 500.000), in Chile hingegen erreicht diese Zahl bisher 700. Ganz ohne Zynismus: Die Chilenen hatten Glück im Unglück, das Erdbeben um 3:34 Uhr in der Früh war eine Warnung, hat die Menschen aus dem Schlaf gerissen. Schon 1960 wurde in Valdivia das schwerste jemals verzeichnete Erdbeben mit der Stärke 9,5 gemessen. Schon damals wurden große Teile der Regionen, die auch heute betroffen sind, von einer Tsunami-Welle überschwemmt. 5.000 Menschenleben hat das Meer damals gefordert.
Diese tragischen Momente sind den Menschen in Erinnerung geblieben. "Wir haben hier eine Tsunami-Kultur und wissen genau, wann es Zeit ist, zu flüchten", erklärte mir der Nothilfe-Koordinator der Caritas, Juan Precht. "Chile wurde immer als das lateinamerikanische Land angesehen, das am besten auf Erdbeben vorbereitet ist. Die Kinder hier lernen in speziellen Übungen, sich in Sicherheit zu bringen, bevor sie überhaupt lesen und schreiben können. Die Bauvorschriften sind streng. Die Anleitung für das Verhalten in einer Katastrophe ist ein dickes Buch, das alle möglichen Szenarien für Erdbeben beinhaltet, die hier ein Teil des Alltags sind", schreibt etwa die New York Times.
Die Menschen in Chile haben sich daran gehalten: Sofort nach dem Erdbeben sind sie losgelaufen und haben sich in Sicherheit gebracht. Gerade noch rechtzeitig. Zwanzig Minuten später sind die ersten Wellen über das Land gerollt. In Haiti hingegen fand das letzte große Erdbeben vor 240 Jahren statt, auch damals wurde ganz Port au Prince zerstört. Wie damals hat auch das aktuelle Beben die Menschen vollkommen überraschend getroffen. Vorbereitet auf die Katastrophe war niemand.
Chile: Sofortige Hilfe durch Mobilisierung freiwilliger HelferInnen
In beiden Ländern liefen schnell nach den Katastrophen die Hilfseinsätze an. Hier liegt einer der großen Unterschiede der beiden Länder. Chile gilt als besser entwickelt, obwohl auch hier vor allem in den ländlichen Gebieten die Armut weit verbreitet ist. Trotzdem wurden die politischen und zivilen Strukturen vom Erdbeben nicht getroffen, großes Gerät, Hilfsmannschaften, Luftbrücken und Logistik über Land konnte die Bevölkerung in Chile selbst organisieren. Nahrungsmittel sind im Land selbst ausreichend vorhanden.
Obwohl die Regierung nach wenigen Tagen um internationale Hilfe bat, etwa um Wasseraufbereitung, Feldspitäler, Satellitentelefone und Generatoren, waren und sind sie in der Lage, den Ablauf der Nothilfe größtenteils selbst in die Hand zu nehmen. Auch durch tausende Freiwillige, oft SchülerInnen und StudentInnen, aber auch direkt Betroffene, die helfen, Lebensmittelpakete zu schnüren und sie anschließend zu verteilen. Schon nach wenigen Tagen konnte schon allein die Caritas 104.000 Familien mit Lebensmitteln für mehrere Tage versorgen, Evaluierungen, wer für ein Übergangshaus aus Holz in Frage kommt, waren schon weit fortgeschritten, ein erster Prototyp für ein solches Holzhaus stand bereits.
Haiti: Schon davor ohne Strukturen
In Haiti hingegen, dem ärmsten Land der nördlichen Halbkugel, waren diese Strukturen schon vorher nicht vorhanden. Es gibt keine Armee, auf deren Strukturen und Personal man zurückgreifen könnte. Das politische Management wurde durch die Zerstörung ihrer Infrastruktur außer Gefecht gesetzt. Schweres Bergegerät, genügend Ausbildung und Erfahrung im Umgang mit Katastrophen sind so gut wie nicht vorhanden. Die Menschen hungerten hier schon vor dem Erdbeben; es gab nicht genügend Lebensmittel, um die Ärmsten der Armen und die am stärksten Betroffenen ausreichend zu versorgen, von Zelten oder Planen für die Unterbringung ganz zu schweigen. Wasseraufbereitung existierte nicht, ebenso war die Krankenversorgung für die hunderttausend Verletzten, von denen mindestens 10.000 amputiert wurden, schwach. Zusätzlich war gerade in den ersten Tagen nach dem Beben eine enorme Traumatisierung der Bevölkerung zu spüren, eine Apathie.
In Haiti mussten Strukturen und Hilfsgüter von internationalen Organisationen importiert werden, während sie in Chile im Land selbst vorhanden waren. Diese Tatsache gilt bis heute. Deswegen liegt der große Fokus nach wie vor auf Haiti. Chile wird finanzielle Unterstützung brauchen, sich im Endeffekt aber zu einem großen Teil selbst helfen. Haiti hingegen wäre ohne die Hilfe internationaler Organisationen nicht in der Lage, mit den Folgen der Katastrophe fertig zu werden. Das wird auch noch eine lange Zeit so bleiben.